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Familie fürchtet Abschiebung

Die in Neichen wohnenden sechs Roma sollen nach Serbien zurückgeschickt werden

Serbien gilt politisch als sicheres Herkunftsland, doch für die Familie Idic bedeutete das Leben dort Armut und Ausgrenzung. Vor einem Jahr kam sie nach Deutschland, nun lebt sie in Neichen (Verbandsgemeinde Kelberg). Nun droht die Abschiebung. Ihr "Pate" Ralf Wagner-Nowak (Daun) setzt sich für ihr Bleiben ein.

Neichen. Rabija (14) und Melisa (12) sprechen so gut Deutsch, dass sie das Gespräch mit dem Trierischen Volksfreund übernehmen. Sie übersetzen, was ihre Eltern Elvis und Merima (beide 32) in der Muttersprache zu den Gründen ihrer Flucht aus Serbien sagen, und sie erzählen, wie gut es ihnen beiden und ihrem Bruder Ramadan (10) in der Grund- und Realschule plus in Kelberg und dem jüngsten Bruder Muhamed (5) im Kindergarten in Kelberg gefällt. Lebhaft und mit leuchtenden Augen berichten sie vom Fußballspielen und vom Martinszug. Bei der Nikolausfeier in Neichen soll Melisa die Rolle des Heiligen übernehmen. "Wir haben Freunde in der Schule und im Dorf", sagen die Mädchen. Und: "Hier ist alles gut."

Frau und Tochter bedroht

In ihrer serbischen Heimatstadt an der Grenze zu Albanien dagegen seien sie bedroht und als "Zigeuner" diskriminiert worden (siehe Extra). Elvis Idic hatte bei einer Arbeitslosenquote von über 60 Prozent nur gelegentlich eine Aushilfstätigkeit. Die Probleme wuchsen ihm vollends über den Kopf, als er für den Kauf von Holz geliehenes Geld nicht pünktlich zurückzahlen konnte und seiner Frau und seiner ältesten Tochter Misshandlung angedroht wurde. "Da beschlossen wir, nach Deutschland zu gehen", erklärt Rabija.

Nun türmen sich auf dem Tisch des Wohnzimmers in dem Haus in Neichen die Papiere. Darunter der Bescheid der Trierer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Darin steht, dass die Anträge auf die Anerkennung als Flüchtlinge und auf Asyl "offensichtlich unbegründet" sind. Was bedeutet, innerhalb von einer Woche Deutschland verlassen zu müssen oder nach Verstreichen der Frist nach Serbien abgeschoben zu werden.
Das will Ralf Wagner-Nowak nicht hinnehmen. Der 53-jährige Unternehmer betreut die Familie Idic seit mehreren Monaten im Rahmen von Projekten des Caritasverbands Westeifel als Schul- und Willkommenpate. Er unterstützte die Familie dabei, mit Hilfe eines Dauner Rechtsanwalts Widerspruch gegen die Entscheidung des Bundesamts einzulegen.
Er sehe die Familie Idic als Mitglieder der Roma in Serbien durchaus als Gruppen-Verfolgte an, betont Wagner-Nowak. Er hat Elvis Idic eine Stelle in seiner Spedition gegeben, was von der Ausländerbehörde der Kreisverwaltung Vulkaneifel gestattet wurde. "Ich setze meine Hoffnung auf ein Bleiberecht darauf, dass Elvis Arbeit hat, Merima sich wegen Traumatisierung und Depressionen in ärztlicher Behandlung befindet und die Kinder sich vorbildlich integrieren", sagt Ralf Wagner-Nowak. Zumindest kurzfristig bleibt ihm seine Patenfamilie ohnehin erhalten, denn über den Widerspruch ist noch nicht entschieden worden. Grundsätzlich gehört Rheinland-Pfalz zu den Bundesländern, die im Winter (konkret ab 18. Dezember) nicht abschieben.

Trierischer Volksfreund, 5. Dezember 2014

AnmerkungRalf Wagner-Nowak ist Mitglied des Sprecherteams von Forum Eine Welt.


EXTRA

In Herforst (Eifelkreis Bitburg-Prüm) war es dem Einsatz von Ortsbürgermeister Werner Pick zu verdanken, dass die dort wohnende Roma-Familie Murina nicht abgeschoben wurde. Er hatte im Juni die Härtefallkommission des Landes eingeschaltet. Auf deren Ersuchen hin hat das Integrationsministerium der Familie im Oktober eine Aufenthaltserlaubnis erteilt (der TV berichtete). Um den Zuzug von Roma zu bremsen und die Abschiebung zu erleichtern, hat die Bundesregierung im November Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina für "sichere Herkunftsländer" erklärt. Das Verwaltungsgericht (VG) Münster bezweifelt aber diese Einstufung. Die Richter gaben in der vergangenen Woche einem Eilantrag einer asylsuchenden serbischen Roma-Familie statt und stoppten deren drohende Abschiebung. Das VG Stuttgart hatte bereits im März betont, dass Roma durch den serbischen Staat beschnitten und kriminalisiert werden, wenn sie vom Recht der freien Ausreise Gebrauch machen. kah/sts

MEINUNG
STEFAN
SARTORIS

Genau hinschauen

Serbien ist ein sicheres Herkunftsland - und basta? Damit macht es sich der Bund zu einfach. Auch wenn nicht jeder Zuwanderung Tür und Tor geöffnet werden kann, so muss es doch möglich sein, bei jedem einzelnen Fall so genau wie möglich hinzuschauen. Wie bei der Familie Idic aus Neichen: Der Vater hat Arbeit, die Kinder sind bereits gut integriert - was spricht dagegen, dass sie hier bleiben dürfen? Was der Familie in Serbien droht, ist kein Geheimnis, sondern längst dokumentiert: Dort sind Roma systematischer Ausgrenzung, Gewalt und Willkür ausgesetzt. Das haben mittlerweile auch schon einige Gerichte anerkannt und schnellen Abschiebungen einen Riegel vorgeschoben. Gut so!
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   s.sartoris@volksfreund.de


LESERBRIEF

Zur Berichterstattung über die Flüchtlings-Debatte in Deutschland und die Kriegs- und Krisenherde überall auf der Welt:

Der 11. September 2001 war ein besonderes Ereignis; die eindeutige Frage dahinter: Was habe ich getan oder unterlassen, dass mich oder unsere Gesellschaft andere so hassen können?

Nach weiteren zehn Jahren wahnsinniger Kriege und kalkulierten Kriegsbegründungen in Afghanistan, Irak und Libyen geht das Inferno in die nächste Runde: In Syrien schlachtet ein westlich lebender Herrscher seine eigene Bevölkerung hin. Die Weltgemeinschaft findet keine gemeinsame Antwort darauf. Weil es seit der weisen und weitsichtigen Politik Michail Gorbatschows und anderer während der friedlichen Revolution 1989 keinen Dialog mehr gibt.

Wir alle hofften auf ein friedliches Aufeinanderzugehen in Europa und der Welt. Stattdessen meinten die Nato und die neoliberale Weltwirtschaft, Russland nach und nach „in die Tasche stecken" zu können. Die Unnachgiebigkeit Putins ist die Antwort darauf. Aber Opfer sind die 50 Millionen Flüchtlinge in den neuen Stellvertreter-Kriegen, zum Beispiel in Syrien.

Januar 2015: Was habe ich getan oder unterlassen, dass mich oder unsere Gesellschaft andere so hassen können? Wenn ich meine Kinder für ein Bauen an einer friedlichen; gerechten und solidarischen Welt ertüchtigen will, muss ich ihnen viel Liebe schenken, von der sie zehren können, ihr Leben lang. Sind nicht die jungen Erwachsenen, Muslime oder Konvertiten, auch unsere Kinder? Die jungen Erwachsenen, die aus Deutschland und Europa über die Türkei nach Syrien und Irak in den Krieg ziehen. Ihre Eltern waren „Gastarbeiter", sollten also hier arbeiten und dann wieder gehen. Aber es kamen Menschen und deren Kinder, die in Vor­städten und sozialen Brenn­punkten oft unter sich lebten. Sie lernten uns nicht kennen, wir lernten sie nicht kennen. In Kindergärten, Schulen und Beruf verlangen wir Assimilierung, Angleichung an die Mehrheitsgesellschaft. Wäre nicht Integration der Unterschied zwischen den Kulturen, die nicht unüberbrückbar, sondern bereichernd und bunt auch für uns alle sein könnte, wichtig? Ist nicht Wertschätzung der Migranten und ihrer Kinder der wichtige Baustein im Zusammenleben, der sonst die Liebe zu unseren leiblichen Kindern ist?

Ralf Wagner-Nowak, Flüchtlingsbeauftragter Forum Eine-Welt, Daun

Trierischer Volksfreund, 4. Februar 2015